Neuauslegung der EU-Öko-Verordnung bringt Bio-Geflügelhalter in Not
L P D – Unter dem Deckmantel des Tierwohls droht Bio-Geflügelhaltern in Deutschland eine massive Verschärfung ihrer Arbeitsrealität – mit fatalen Folgen für Tiere und Betriebe. Eine neue Auslegung der EU-Öko-Verordnung 2018/848 sieht vor, dass Junggeflügel künftig bereits ab dem ersten Tag die Möglichkeit zu einem Grünauslauf haben soll – ein Ansatz, der in der Praxis jedoch weder tiergerecht noch wirtschaftlich umsetzbar ist. „Diese Verordnung gefährdet das Leben der Küken. Sie sind in den ersten Lebenswochen weder voll befiedert noch immunstark genug für den Aufenthalt im Freien“, schlägt Kilian Henne, Bio-Hähnchenmäster aus Deitersen, Alarm. In seinen nach Naturland-Regeln gebauten Ställen hält der 33-Jährige rund 28.800 Tiere in einem zweistufigen System – ohne Grünauslauf in den ersten 28 Tagen, danach mit Zugang ins Freie.
Die neue Auslegung der Verordnung würde Henne ab Ende 2030 dazu zwingen, bereits für die Küken eine sechs Hektar große Auslauffläche am Aufzuchtstall bereitzustellen – eine Fläche, die nicht nur von den Jungtieren kaum genutzt würde, sondern auch nicht zur Verfügung stünde, da die am Stall angrenzenden Flächen dem Junglandwirt nicht gehören, berichtet Henne gegenüber dem Landvolk-Pressedienst.
Hinzu kommt: „Der frühe Freilauf birgt gesundheitliche Risiken für die Küken. Sie verfügen noch nicht über ein vollständig entwickeltes Immunsystem und sind somit anfällig für Infektionen, Kälte, Feuchtigkeit und Zugluft. Öffnungen im Stall erhöhen zudem das Risiko durch Schadnager und Greifvögel“, erklärt der Landwirt. Somit könnte der eigentlich für Tierwohl gedachte Vorstoß das Gegenteil bewirken – kranke Tiere und den möglichen Einsatz von Antibiotika. „Nicht umsonst werden unsere 14.400 Küken erst nach 28 Tagen aus dem anfangs 34 Grad warmen Aufzuchtstall in den Maststall umgestallt. Diese arbeitsintensive und händische Arbeit machen wir nicht zum Spaß, sondern erst dann ist das zarte Daunenkleid durch die Deckfedern ausreichend überwachsen“, führt Henne aus.
Für Henne, der seine Ställe über eine Biogasanlage klimaneutral betreibt und eigenes Bio-Futter anbaut, wäre die Umsetzung der EU-Verordnung eine wirtschaftliche Katastrophe: „Sollte die neue Auslegung der Verordnung keine Ausnahmen zulassen bzw. dieser Unsinn nicht zurückgenommen werden, dann ist dieser Stall nutzlos“, erklärt der Junglandwirt, der über eine Million Euro in den Bau gesteckt hat. Aber er steht nicht allein vor dem Problem: „Fast 80 Prozent der Bio-Geflügelhalter wären betroffen, viele könnten die Auflagen baulich gar nicht erfüllen“, warnt Henne. Gemeinsam mit Naturverbänden und Vermarktern hat er sich an die Politik gewandt – bisher ohne Erfolg. Die Antwort der EU-Kommission aus Brüssel sei ernüchternd gewesen: „Entweder man hat das Problem nicht verstanden, oder es ist der EU-Kommission egal.“
Carsten Bauck, Vorsitzender des Ausschuss Ökolandbau im Landvolk Niedersachsen, bringt es auf den Punkt: „Gut gedacht, schlecht gemacht. Küken ab dem ersten Tag draußen halten zu wollen, ist realitätsfern und unsinnig.“ Trotz Übergangsfrist befürchten viele Betriebe eine Halbierung ihrer Kapazitäten – und das ausgerechnet in einer Zeit, in der der ökologische Landbau eigentlich gestärkt werden soll. „Die neue Regelung gefährdet nicht nur das Wohl der Tiere, sondern auch die Existenz zahlreicher Bio-Betriebe. Sollte die Politik an diesen starren Vorgaben festhalten, droht ein echter Strukturbruch. Besonders für Niedersachsen ist die Situation aufgrund des hohen Anteils an ökologisch wirtschaftenden Geflügelhaltern bedrohlich. Immerhin stammt mehr als jedes dritte deutsche Bio-Huhn aus unserem Bundesland. Viele Betriebe wären gezwungen aus der Geflügelhaltung auszusteigen oder ihren Bio-Status aufzugeben. Das ist eine Reform, die dringend überdacht werden muss“, fordert Bauck abschließend. (LPD 34/2025)